Nachhaltigkeit im Krieg: "Wir müssen zu viele Probleme gleichzeitig lösen."
3/25/2022
Steve Grundig ist Mitgründer von Plant Values – einer Unternehmensberatung für nachhaltige Geschäftsmodelle. Payactive und Plant Values sind sich schon seit langem freundschaftlich verbunden. Nicht nur, weil payactive im Fintech-Sektor zu den Pionieren regenerativen Denkens in Deutschland gehört. Sondern auch, weil wir als Unternehmen im Verantwortungseigentum eine besonders nachhaltige Form der Unternehmensführung gewählt haben.
Der Ausbruch des Krieges in der Ukraine bedeutet eine Zäsur. Nicht nur für die Sicherheit in Europa sondern auch für das wichtige Thema Nachhaltigkeit. Es scheint, als ob Themen wie der Klimawandel, der noch vor Wochen im Mittelpunkt öffentlichen Bewusstseins stand, aus ebendiesem verschwunden ist. Während man mit Sorge auf die Ukraine und Russland schaut, gerät unsere andere große globale Herausforderung scheinbar in den Hintergrund.
Aber ist das so? Wir haben uns mit Steve unterhalten, wie er die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle sieht. Und das vor allem mit Blick auf den Überfall auf die Ukraine.
Hi Steve, erklärst du uns kurz, was Plant Values macht?
Hi, na klar! Plant Values wird jetzt sieben Jahre alt. Wir sind eine Beratung für Nachhaltigkeits- und CSR-Management. Wir richten uns an Unternehmen, die wir – entweder von Beginn an oder später im Lebenszyklus – auf dem Weg durch ihre nachhaltige Transformation begleiten können. Heißt: Wir unterstützen Startups dabei, mit nachhaltigen Ideen zu starten und sie von Beginn an umzusetzen. Immer zentraler wird aber ein anderer Bereich bei uns. Nämlich der, wo wir Unternehmen mit klassischen Geschäftsmodellen bei der Veränderung hin zur Nachhaltigkeit helfen. Das wird immer wichtiger und ist mittlerweile der größte Anteil.
Mit was beschäftigt ihr euch inhaltlich am meisten?
Inhaltlich sitzen wir gerade viel am Thema Wesentlichkeitsanalyse. Dabei helfen wir KundInnen Nachhaltigkeit greifbar zu machen. Wir übersetzen das fürs Unternehmen in deren konkrete Themen und Herausforderungen mittels Analyse und versuchen wesentliche nächste Schritte in Sachen Nachhaltigkeit vorzudenken. Aber das ist nur ein Beispiel aus unserem Werkzeugkasten. Wir machen aktuell sehr viele Workshops und Coachings, wo wir Mitarbeitende und Führungskräfte für das Thema abholen oder an Lösungen arbeiten. Da muss man durchaus noch Aufklärungsarbeit leisten und vermitteln, dass Nachhaltigkeit mehr ist als fairtrade- Kaffee und Ökoklopapier.
Man muss ans Kerngeschäft ran!
Verändert sich auch etwas?
Total.
Ich finde vieles ermutigend, was ich sehe. Ja, wir müssen immer noch viel erklären und Verständnis schaffen. Aber ich finde es großartig, wie viel Interesse und Kenntnis da ist, manchmal eben nur verteilt übers Unternehmen. Da merkt man schon, dass Nachhaltigkeitsfragen die Leidenschaft vieler Menschen geweckt haben. Einige unserer KundInnen sind da schon Mikro-ExpertInnen, bevor wir überhaupt den Raum betreten haben. Oder sie haben sich zur Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit zusammen geschlossen und schon an verschiedenen Stellschrauben gedreht. Da hilft man dann Themen strukturieren und durch die Organisation tragen. Aber es ist schon toll, wenn man eine Person im Unternehmen hat, die als ExpertIn am gleichen Strang zieht wie man selbst. Das gibt es immer mehr.
Wo siehst du gerade Sustainable Finance – die nachhaltige Finanzwirtschaft?
Da beginnt was, aber es muss noch viel passieren. Ohne Zweifel ist die Finanzbranche ein enorm wichtiger Faktor im weltweiten nachhaltigen Wirtschaften. Aber dieser Bereich denkt und handelt halt auch klassisch zahlengetrieben. Wenn die Shareholder ihre versprochenen Investitionsgewinne sehen wollen, mutiert Nachhaltigkeit schnell zu einem Nicht-Thema. Passieren muss vor allem dort etwas, wo die Großen sind. Zum Beispiel Rentenfonds oder Versicherungen. Ich finde aber, dass sich gerade viel hoffnungsvolle Zeichen ergeben, bspw. mit der EU-Taxonomie. Trotz berechtigter Kritik zur Einstufung von Atom- und Gas- Kraftwerken entsteht hier einen Rahmen für nachhaltigeres Investieren.
Das Nicht-Beachten von Nachhaltigkeitsthemen bei Unternehmen wird auch immer stärker als Investment-Risiko verstanden. Hier ist was in Bewegung geraten.
Auch mit Unternehmen wie euch, Payactive, entsteht immer mehr ein Ökosystem an wachsenden AkteurInnen im nachhaltigen Finanzgeschäft, die die Zukunft der Branche mitgestalten werden. Viele Unternehmen, die sich nachhaltiger aufstellen wollen, suchen konkret nach Dienstleistern und Services, die umweltfreundlicher oder sozialer wirtschaften.
Uns beschäftigt alle ja kaum etwas so sehr, wie der Krieg in der Ukraine. Wie sehr schwächt das Morden in Osteuropa die eigentlich so dringend notwendigen Anstrengungen für nachhaltigeres Handeln? Sehr ihr da schon Entwicklungen?
Erstmal ist das wirklich schlimm, was dort passiert. Der Krieg beschäftigt uns alle im Team und ist die letzten Tage oft Thema in Gesprächen gewesen. Um da zu einer klaren Aussage zu kommen, wie es sich auf nachhaltiges Handeln auswirkt, ist es noch zu früh. Vielleicht sehen wir nach 2 bis 3 Monaten eine Veränderung. Ich kann mir vorstellen, dass Unternehmen Nachhaltigkeitsbemühungen nun erstmal nach hinten stellen, weil Wirtschaftskrise drohen, Energiepreise steigen, Absatzmärke wegbrechen und dann wieder kurzfristiges Reagieren im Vordergrund steht. Das wird sich zeigen.
Auf jeden Fall nimmt die Aufmerksamkeit zu Nachhaltigkeitsthemen aktuell medial ab. So wurde zum Beispiel Ende Februar 2022 der neue IPCC-Report zum Klimawandel vorgelegt, der zeigt, wie hoch der Druck ist in Sachen Klimawandel. Dieser Report wurde im Zuge des Überfalls auf die Ukraine öffentlich kaum wahrgenommen. Das ist nachvollziehbar, aber für das Thema Klimawandel natürlich schlecht. Wir brauchen mehr Wahrnehmung, dass konsequentes und sehr rasches Handeln für das drängende Problem des Klimawandels unabdingbar ist. Aber die Brisanz des Klimawandels wird gerade durch den Krieg in der Ukraine dominiert. Als Medienthema kanibalisiert aktuell die Herausforderung Krieg die Herausforderung Klimawandel. Das ist verständlich, Stichwort „Aufmerksamkeitsökonomie“.
Aber man merkt auch, dass wir gerade zu viele globale Probleme lösen müssen.
Und da haben wir noch gar nicht von der Biodiversitätskrise geredet, was u.a. das massive Artensterben weltweit beschreibt. Etwas, was die Menschheit eigentlich nochmal mehr bedroht als der Klimawandel alleine schon, wenn man aufs Modell der planetaren Grenzen schaut.
Aber: Wir sehen auch noch etwas anderes. Wäre zum Beispiel die Energiewende früher und konsequenter vorangetrieben worden, hätten wir bestimmte Probleme heute nicht. Die vor wenigen Wochen beschlossene Beschleunigung der Energiewende im Zuge des Kriegs in der Ukraine hätte Jahre früher kommen müssen. Jetzt wird der Umstieg auf erneuerbare Energien wohl nochmals beschleunigt um Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffimporten zu schaffen. Das wird einen großen Schub geben. Sozusagen auf lange Sicht ein positiver nachhaltiger Nebeneffekt in einer ansonsten riesigen Tragödie.
Wenn du jetzt einen Wunsch für die Zukunft der Nachhaltigkeit frei hättest, was wäre das?
Eine der zentralen Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit ist die Kosten-Nutzen- Wahrnehmung. Unternehmen, die zu Lasten der Umwelt und Transparenz oder mit Unterwanderung von Sozialstandards oder Menschenrechte arbeiten, haben einen Preisvorteil. Reale Kosten für die Gesellschaft werden externalisiert, d.h. auf Ökosysteme oder andere Akteur*innen – z.B. die Arbeiter*innen innerhalb von Lieferketten – abgewälzt. Die aktuell externalisierten Kosten werden in Zukunft mehr und mehr eingepreist. Das kommt. Aber mein Wunsch wäre, dass das noch viel schneller passiert.
Wer jetzt mehr in Nachhaltigkeit investiert, hat aktuell höhere Kosten. Also zum Beispiel für eine*n zusätzliche*n CSR-Manager*in, für neue Anlagen oder Produkte aus nachhaltigerer Herstellung. Wenn man sich um das Thema nicht kümmert, dann lagert man die Mehrkosten oder die Schäden wieder aus und künftige Generationen müssen dafür zahlen.
Gleichzeitig bedeuten Investitionen jetzt, dass nachhaltigeres Geschäft in verschiedenen Bereichen zukünftig weniger Kosten in einer sich verändernden Welt bewirken. Es reduziert externalisierte Kosten für die Gesellschaft künftig – und es macht das Unternehmen zukunftsfähiger.
Aber wo setzen wir nun an?
Hier müssen wir auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Die Instrumente liegen auf dem Tisch, wir müssen sie aber einsetzen. Zum Beispiel durch Gesetzesinitiativen, die beispielsweise den Anteil ökozertifizierter Produkte im Handel erhöhen, Lieferketten transparenter machen oder nachhaltig agierende Unternehmen steuerlich bevorzugen.
Wir brauchen quasi gleiche Spielregeln zum nachhaltigen Wirtschaften für alle, sodass jene Unternehmen, die nachhaltiger handeln, eben nicht preisliche Nachteile davon tragen.
Zusätzlich würde ich mir wünschen, dass mehr GeschäftsführerInnen erkennen, dass Nachhaltigkeit nicht ein weiteres unter 23 Themen, die sie plagen, ist. Man kann das jetzt natürlich wegschieben oder halbherzig neben dem Tagesgeschäft angehen. Dann hat man aber wieder in einigen Jahren die höheren Kosten zu tragen. Nachhaltigkeit sehe ich als Schlüsselthema für eine friedliche Welt, auf der wir alle gut leben und wirtschaften können. Es ist tatsächlich DAS Thema der nächsten Jahre.
Vielen Dank Steve, für das Gespräch.
Nachbemerkung:
Wer Plant Values und Steve Grundig so spannend findet, wie wir, hier geht es zu ihrer Website: https://plant-values.de
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